KYBBDHOF
Linolschnitt, 2021 1152 cm x 200 cm
Missbrauch ist ein heißes Eisen. Keiner will es hören und es sich noch weniger vorstellen. Vergangenes liegt weit zurück, die Erinnerungen sind unscharf und oft widersprüchlich. Um so irritierender ist es, wenn sich manchmal die Opfer vor ihre Peiniger stellen. In der Arbeit Kybbadhof hat Florian Haas den Missbrauch an seiner Schule in die Märchenwelt der Pilze transformiert.
Völlig fehl am Platz lebte ein Kind mit Down-Symptom im Internat. Wer auch immer die Kosten für S. übernahm, es ging das Gerücht um seine Mutter sei eine russische Agentin gewesen, finanzierte ein jahrelanges Martyrium für das Kind. S. war ein freundlicher Junge mit fürchterlich abgeknabberten Fingernägeln, der wohl nicht immer der Aufforderung nachkam sich täglich zu waschen. Sein Alter war schwer zu bestimmen. S. saß mit uns im Klassenzimmer und da er nicht zu beschulen war bestand seine Aufgabe einfach darin die Klappe zu halten. Tat er dies nicht bekam er eine gescheuert. Ohrfeigen waren sein tägliches Brot. Sein Schickst war als lebendiger Blitzableiter durch die Schule zu laufen. Ein Lachen zu viel auf dem Schulhof und S. hatte sich die nächste gefangen. Als ich wegen seiner Behandlung gegenüber meinem Lehrer Einspruch erhob wurde S. neben mich gesetzt. Ich sollte jetzt auf ihn aufpassen. Sein Lachen und seine Freude darüber werde ich nie vergessen.
Von zwei Lehrern wusste ich, dass sie mit meinen Mitschülerinnen ein Verhältnis hatten. Eines der Mädchen war erst 15 alt als das mehrere Jahre währende Verhältnis begann.
Eine tiefere Schicht des Kybbadhofs führt in die NS Vergangenheit der früheren Besitzerfamilie Hoven. Die Familie betrieb ein Luxussanatorium in Freiburg Herden und unterstützte noch vor 1933 durch ihre Spenden die SS. Sohn Waldemar der 1933 Mitglied der SS wurde arbeitete in den späten 20ziger Jahren auf dem Kybbad-Gut und dann später als SS-Arzt im KZ Buchenwald wo er durch sein korruptes Verhalten auffiel und inhaftiert wurde. 1947 wurde er im Nürnberger Ärzteprozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt.
Da Florian Haas bei seinen Recherchen die Archive wegen dem Schutz noch lebender Personen verschlossen blieben und um bei Nennung von Namen etwaigen Klagen auf Unterlassung aus dem Weg zu gehen, transformierte Florian Haas die Geschichte des Missbrauchs an seiner Schule, wie er an hunderten deutschen Schulen in den 70ziger Jahren stattfand, in eine Märchenwelt in der die Protagonisten gequälte Pilze mit menschlichen Antlitz sind. Hinter der bizarr, kuriosen Bildwelt des großformatigen Linolschnitt (2 m x 10 m) verbirgt sich die Banalität des Bösen, deren langer Arm bis nach Buchenwald reicht wo Waldemar Hoven als KZ-Arzt Dienst leistetet.
Die Arbeit „Mit Krieg spielt man nicht“ wurde ermöglicht durch: Stiftung Kunstfonds zur Förderung der zeitgenössischen bildenden Kunst Sonderförderprogramm NEUSTART KULTUR: NEUSTARTplus-Stipendium